20241016
Tonio Schachinger schreibt in „Echtzeitalter“, beim Gaming gehe es nicht ums Gewinnen, sondern um Immersion (und dass die Mutter des Protagonisten das nicht verstehe – als Mutter eines passionierten Gamers konnte ich mit der Beschreibung der gestörten Kommunikation zwischen der besorgten Mutter und dem vor dem Computer einzementierten Kind sehr viel anfangen, aber dass es dabei vor allem um Immersion geht, war mir immer klar).
Aber ehrlich, wie kann das so überraschend sein? Wenn man weiter darüber nachdenkt, wo, bei welchen Lebensaspekten, bei welchen kulturellen oder sozialen Aktivitäten geht es eigentlich nicht um Immersion?
Beim Lesen, ganz klar, wer will schon in der wirklichen Wirklichkeit bleiben, wenn sie oder er ein Buch mit spannender Handlung, gut gezeichneten Charakteren und schöner Sprache liest, wer will das Telefon abheben, Essen kochen oder das Bad putzen?
Musik hören, nun, da geht einiges des letztgenannten nebenbei, schöner Nebeneffekt der musikalischen Immersion: man ist nicht ganz anwesend, sehr automatisiert, die drögen Verrichtungen gehen leichter von der Hand, die Musik trägt eine*n da durch.
Ein Gespräch soll eine*n natürlich vereinnahmen, man möchte mit voller Konzentration zuhören, den Gedanken der*des anderen folgen, eigene aufgreifen, zusammenknüpfen und zurückspielen, es soll heiter sein und anregend, den Horizont erweiternd, überraschend, wenn man andere Sichtweisen entdeckt und für sich erprobt, bestätigend, wenn man sich auf gemeinsame Sichtweisen einigen kann.
Ein reales Spiel, allein oder mit anderen gemeinsam, ein Brettspiel zum Beispiel, für die, die das kennen und gern machen, ist reinste Gruppenimmersion, das Eintauchen in den vorübergehend ausschließlich realen Bezugsrahmen des Spieldesigns und der Regeln, innerhalb deren man sich bewegt und agiert und die positiven wie negativen Eigenschaften der Mitmenschen in kondensierter Form serviert kriegt.
Und natürlich körperliche Intimität, der gute Sex, zwei Menschen (oder mehr?), die sich mögen und gut riechen können und sich infolgedessen ineinander verlieren wollen, sehr mächtig, diese Form der Immersion, kann sehr folgenreich sein und so weit gehen, dass es einer oder einem lebenslange Verbundenheit beschert.
Vereinnahmen lassen wollen sich die Menschen, bloß nicht an sich selber denken, in der Leere an die eigene Sterblichkeit denken, sich langweilen, die Zeit sich dehnen sehen und das Gefühl haben, an der Welt nicht teilzuhaben. Die lästigen Grundbedürfnisse wie Hunger und Durst und Müdigkeit melden sich sowieso verlässlich wieder und ziehen eine*n zurück in den eigenen Körper und mitunter und später im Leben öfter auch der Schmerz.
Vielleicht war das in Wahrheit immer ein Missverständnis, der Mensch als einziges, sich seiner selbst bewusstes Lebewesen, wie erstrebenswert ist es eigentlich, immer, in jedem Moment des Wachzustandes zu wissen, was man tut, immer sich selbst zu beobachten, sich einzuordnen, sich zu bewerten? Niemand will das wirklich dauernd, will denken und also sein. Lieber, also wirklich viel lieber, nur Sein, ohne Vorher und Nachher, ohne Grund und Ziel, selbst-verständlich.