20241020
Listening, reading, watching, ein Wochenende nach meinem Geschmack, viel Ruhe und Zeit für Schönes und Anregendes.
Gestern auf Hinweis der diesbezüglich immer verlässlichen @sauer_lauwarm ein Radiofeature in der Ö1-Reihe Diagonal über Hans-Joachim Roedelius. Bin ja in all diesen elektronischen Musikdingen Very-Late-Adopteress, ich kenne ihn hauptsächlich von seinen späteren klavierlastigeren Sachen, die man sich gefahrlos immer wieder anhören kann und jedes Mal wieder berührt ist.
Wie ich lerne, hat er eine lange Karriere mit teils gehörgefährdender Frühelektronik hinter sich. Roedelius lebt wohl seit Jahrzehnten im zutiefst bürgerlichen Kurort Baden bei Wien, mit seiner Frau und einer inzwischen größeren Familie, er klingt wie ein etwas reservierter, aber doch freundlicher Zeitgenosse, der gerne lacht und halt zufällig Musik macht, eher unkompliziert. Die beiden Radiojournalisten überbieten sich ihrerseits darin, ihm komplizierte Fragen zu seiner Werkgenese zu stellen, hauptsächlich um zu zeigen, wieviel Ahnung von allem sie selbst haben und Roedelius antwortet dann häufig recht knapp, ja, so sei es wohl. Nun ja, er denkt sich bestimmt, wenn die schon alles wissen, reicht es, wenn ich zustimme, und sie dazwischen meine Musik spielen, er hat recht. Der Mann wird immerhin bald 90 und muss nichts mehr beweisen, nächste Woche findet ein Festival zu seinen Ehren statt, das ich nicht besuchen kann, weil ich so viel ins Kino gehen muss.
Wie auch gestern, ich sah „Stranger Eyes“ von Siew Hua Yeo. Was wie ein Thriller über Kindesentführung und unwissentliche Beobachtung beginnt, nimmt dann eine völlig andere Wendung, wird fast zur Meditation über Vereinzelung in der durchorganisierten Enge der postmodernen Gesellschaft, über das Sehen und Gesehen-Werden über audiovisuelle Techniken, das Sich-Zeigen und das Sich-Verstecken, man beobachtet einander still und stumm, lebt in der Illusion einer Beziehung, die sich schon allein in dieser Beobachtung begründet und wünscht sich doch nichts so sehr wie Berührung, das kann letztlich ein Streicheln an der Wange sein oder auch ein Bauchstich. Ehrlicherweise entgleitet mir der Film dann ein wenig, ich bin nicht mehr sicher, welche Geschichte gerade erzählt wird, weil einige vermeintlich wichtige Handlungsstränge nicht mehr weiterverfolgt werden, sei’s drum, ich gehe aus dem Kino und habe einen neuen Blick für Überwachungskameras, glücklicherweise scheinen sie in Wien nicht so allgegenwärtig zu sein wie in Singapur.
Und dann lese ich noch, bin frischgebackene Tonio-Schachinger-Ultra, auch sein Erstling ein Buch zum Fressen, ich liebe es einfach, wenn Autor*innen so schreiben, dass ich eingesogen bin und lesen muss, noch ein Kapitel und noch eins, bis mir die Augen tatsächlich zufallen. Ich finde es so enorm mutig von ihm, als Schwabo aus der Perspektive eines bosnischstämmigen Fußballprofis zu schreiben, berufsbedingt kenne ich so viele stolze Tschusch*innen und wäre wirklich interessiert, was sie zu dem Buch sagen würden, ob er es wohl in der Hinsicht gegenlesen und abnehmen hat lassen? Angenehm jedenfalls, dass es kaum um den Fußball selbst geht, das würde mich vermutlich eher langweilen, sondern um die kapitalistische Verwertungslogik von persönlichem Erfolg, um unterdrückte Gefühle und Loyalität zu sich selbst und zu den Menschen, die man liebt.
Daher, Sie entschuldigen, ich muss mich nun wieder einsaugen lassen, gekocht und aufgeräumt und geputzt wurde gestern auch noch zwischendurch, daher kann ich heute den ganzen Tag rumknotzen und lesen und Musik hören und abends schon wieder ins Kino gehen, ein Leben wie ein junger Hund!