Akte
Witz: Was sind Nacktbilder der Menschen in einem Krankenhaus?
Patientenakte
Ein Social Media Fund, eigentlich gar nicht besonders lustig, warum hab‘ ich es mir gemerkt? Wahrscheinlich, weil ich weiß, dass diese Akte nicht das wären, was man gemeinhin unter Akten versteht, ästhetisch schöne oder zumindest interessante oder ansehnliche Ansichten des menschlichen Körpers. Obwohl ich selbst nicht direkt in der Pflege tätig bin, habe ich schon öfter erlebt, wie Schamgrenzen in einem so intimen Setting fallen, wie man plötzlich, auch wenn es gar nicht der aktuellen Aufgabe oder Situation entspricht, mit der alternden, versehrten, prekären Körperlichkeit von traurigen, schmerz- und angstgeplagten Menschen konfrontiert wird. Was macht man da? Die Form wahren, empathisch bleiben, überhaupt bleiben, im Raum, bei ihm oder ihr. Aushalten, entscheiden, was man tun darf und kann und das dann tun.
Das müssen Sie hier auch, mit mir. Ich mache mich hier auch nackt für Sie. Das verändert seltsamerweise alles, nichts ist so wie es war vor noch gar nicht langer Zeit und ich finde dorthin auch nicht mehr zurück, auch wenn ich es mir manchmal wünschen würde, in eine dumpfere, schattigere Zeit. Seit ich sehr jung bin, will ich schreiben, wirklich getan, wirklich öffentlich gemacht habe ich es erst jetzt und es ist jedes Mal ein extremer Aufruhr in meinem Inneren, in keinem Verhältnis stehend zum Inhalt oder zur Form oder zur Größe des Publikums. Der kreative Prozess, meine Damen und Herren! Die Selbstentäußerung, das Sich-Zeigen, Sich-Selbst-Greifbar- und damit -Angreifbar-Machen. Wer es nicht macht, sich dagegen entscheidet, bleibt im dumpfen Schatten und ist sicher, wird aber nicht gehört und gesehen in seinen oder ihren feinen Facetten und Verästelungen. Wagt man es, bekommt die Welt plötzlich sattere Farben und man fühlt sich lebendiger denn je, aber eine irrationale Angst vor dem Angriff, vor der Verletzung bleibt.
(Was muss es auch immer so höchstpersönlich sein, mögen Sie hier zu Recht fragen. Nun, für Fachjournalismus jeder Art scheint der Zug leider doch abgefahren und das ist ja hier my space. Man soll schließlich nicht über Dinge räsonieren, mit denen man sich nicht genügend auskennt und für die es Berufenere gibt. Der Gleichklang der Welt- mit der individuellen Depression schwingt ja ohnehin immer ein bisschen mit.)
Die Wirkung der Nacktheit ereilte mich auch beim erneuten Zwischendurch-Ausstellungsbesuch, Jenny Saville in der Albertina. Die vielen über- und nebeneinander geschichteten Körper, das Fleisch in all seiner Vielfalt und Vielgestalt, die Intimität, in die die Betrachterin fast eingesogen wird, die unmittelbaren Einblicke in die privatesten Stellungen und Berührungen, in der Überblendung der Welt dargebracht.

Eine Frau ist alle Frauen in allen ihren Lebenslagen, ein Mann hält sie fest wie in einer Geburtsposition und aus ihrem Leib scheinen alle Kinder der Welt zu kommen, sie scheinen in ihr quer zu liegen und in sie eingeschrieben, eingezeichnet zu sein, alle Gliedmaßen gehen von ihr aus in alle Richtungen, in ihrem Gesicht stehen Erschöpfung und Hingabe und Entrücktheit.

Und ein Kind ist alle Kinder in Not.

We’ve come a long way since Picasso, der seinerzeit nicht mehr zu tun brauchte als die Vulva einer Frau zur Schau zu stellen, einen flötenden Mann daneben. Der durchschnittliche Besucher ist nicht mehr schockiert, geschweige denn wirklich interessiert. (Dabei denke ich über Backlashes nach, und darüber wie unvorstellbar es mir [derzeit noch] scheint, dass wir kritiklos zurückgehen zur Dominanz über und Objektifizierung von Frauen. Doch dazu vielleicht ein anderes Mal mehr.)
