Climate Nervous Breakdown
Ihr kennt das bestimmt. Da lebt ihr so dahin, verdient Geld oder auch grad nicht, versorgt Menschen oder Wohnumgebungen, schaut dazwischen in die sozialen Medien und da, plötzlich, der nächste Bericht über Dürre da, Hitze dort, Fluten woanders, Minus- und Plus-Rekorde allenthalben, das Polkappeneis wird immer weniger, der Jetstream mäandert zu stark, die urbaren Flächen nehmen ab, ihr kennt die Berichte, ich lese sie gar nicht mehr, denn die Überschriften reichen.
Zack. Aus. Herz rutscht wieder in die Hose. Wirklichkeit dringt wieder ein in den Alltag.
This is not going to end well.
Ihr steht auf und trinkt ein Glas Wasser, und denkt dabei, dass es so einfach aus der Leitung kommt und wie lange das noch so sein wird. Ihr wascht gerade Wäsche, mit Waschmittel natürlich und auch der Geschirrspüler läuft oft, denn hier essen ein paar Menschen. Ihr verbraucht Ressourcen, klar, ihr lebt ja noch. Damit kann man nicht einfach so aufhören.
Wir waren es, meine Generation war es, die am meisten emittiert hat. Die Boomer und gleich danach. Wir wussten schon Bescheid und konnten es nicht fassen, konnten nicht glauben, dass es wirklich nötig sei, alles zu verändern. Dachten, das Leben ist eben so, ist zwingend gebaut aus allen Methoden, um es uns so angenehm wie nur irgend möglich zu machen, Kühlschränke und Tiefkühltruhen, Gebrauchsgegenstände aus Kunststoff, Gas- und Ölheizungen, motorisierten Individualverkehr und Fernreisen zur Persönlichkeitsbildung. Belächelt die Warnenden in Politik und Gesellschaft und die kleinteiligen Initiativen zu einer solidarischeren Lebensweise.
Ist es nicht verwunderlich, dass bei allen dummen und unnötigen Fragen, die man einander in sozialen Netzwerken stellen kann, kaum jemals die Frage auftaucht: Wie sage ich das eigentlich den Kindern? Wie spreche ich mit ihnen darüber? Wie reagiere ich, wenn sie von Zukunftsplänen erzählen und ich bei mir nur denken kann, wie ihr Überlebenskampf eigentlich aussehen wird?
Geht ihr auch manchmal durch die Stadt und überlegt euch schon, wie sie leer und verwüstet aussehen wird? Nein, denn das wäre ja ziemlich weird und so weit ist es ja noch nicht. Aber der Knick wird kommen. Er kündigt sich ohnehin schon überall an. Aber der irre Hedonismus ermöglicht es uns, einander wirkungsvoll davon abzulenken.
Wart ihr auch schon bei der Therapeutin? So als sei es ein individuelles Problem. Ich schon bei drei. Alle sagen ungefähr dasselbe. Jede Generation habe vor irgendetwas existenzielle Angst gehabt. Man solle im Hier und Jetzt bleiben, im unmittelbaren Umfeld. Individuell einwirken, kein Auto, wenig Fleisch. Handlungsfähig bleiben. Und den Kindern keine Angst machen.
Das Problem ist, wenn man die Prognosen ernstnimmt, verliert alles an Bedeutung. Das Heute, das Morgen, das Gestern. Ein großer Schlund tut sich auf und verzehrt alles. Kann mir keiner erzählen, dass das nicht alle spüren, auch die, die vorgeblich nicht daran glauben.
Wieviel CO2 emittiere ich eigentlich beim letzten Vergnügen, dem Schreiben hier, dem Surfen und Scrollen, der Musik und den Serien und Filmen manchmal?
Es ist hier kein Gewinnen mehr möglich. So pessimistisch sein ist natürlich auch defätistisch. Jedes Zehntel Grad zählt, ja, von mir aus. Wenn’s den großen Rucker tut, dann werden die Karten ohnehin neu gemischt.
Warum schreibe ich dann eigentlich noch über Liebe?
Vor Jahren (es war übrigens noch vor der Pandemie) war ich das letzte Mal in einer Gruppe eines Therapeuten, der mir immer sehr geholfen hat, genau wegen meiner Zukunftsängste. Als ich davon erzählte, wiegten alle wissend die Köpfe. Und eine antwortete mir dann mit einem Zitat einer weisen Frau vom Stamme der Whatever bei einer der zahlreichen internationalen Klimakonferenzen: „Das Schmelzen des Eises der Erde ist nicht mehr aufzuhalten. Was wir erreichen müssen, ist das Schmelzen des Eises in den Herzen der Menschen.“
Ich fand das damals unmöglich. Esoterisch naiv. Irrelevant. Aber ich denke oft daran, speziell seit der Pandemie und seit sich die diversen Anzeichen von Zivilisationsbruch mehren. Wenn ein paar von uns überleben wollen, müssen sie zusammenarbeiten. Der Kern der menschlichen Existenz ist nicht Wettbewerb und Konkurrenz, der Fokus darauf hat uns überhaupt erst in diese fatale Lage gebracht. Der Kern der menschlichen Existenz ist Kooperation und Mitgefühl.
Post-Skriptum
Ich habe den obenstehenden Text ziemlich genau vor einem Jahr geschrieben und veröffentliche ihn noch einmal. Meinem Gefühl nach hat sich die Beschäftigung mit den Bedrohungen durch die Klimakatastrophe in der öffentlichen Meinung in diesem einen Jahr sehr verändert. Man redet „Doomslang“, die journalistischen Artikel, die sich mit den Bedingungen und Strategien der psychischen Bewältigung befassen, sind Legion, wenn auch sehr unterschiedlicher Qualität. Bei der Therapie war ich auch nochmal und hab mich selbst ein bisschen rückversichert („Schau, wie weit du es schon geschafft hast, da wird der Rest ein Kinderspiel“).
Wir machen eben weiter, unverdrossen. Wie sollen wir auch anders? Aus Abend und Morgen wird schließlich immer noch ein neuer Tag und es geht uns immer noch gut. Wie sollen wir weiterdenken und -planen als bis zum nächsten Urlaub, zur nächsten Jahreszeit, zum nächsten Lebensabschnitt?