Corbijn und die Innenstadt
Ein unruhiger Morgen, schon zu lange geruht und die Beine hochgelegt, ein ganzer und ein halber Tag, dann regen sich wieder die Geister und wollen, dass sich auch der Körper in Bewegung setzt. Wie geht das schonender als im langsamen Schlendern durch Ausstellungshallen, stehen, schauen, sich vorbeugen, den Kopf schiefhalten bei den Bildbeschreibungen, weiterschlendern. Ich beschließe, die Fotos von Anton Corbijn anzusehen, die vorletzte Gelegenheit wahrzunehmen, noch ins Kunstforum auf der Freyung zu gehen, ein bankgesponserter Hub für moderne Kunst, der nun bald endgültig der Signa-Pleite zum Opfer fallen wird (im Herbst gibt’s noch Marina Abramovic, wahrscheinlich hat sie gedroht, ihnen eine Ausfallshaftung um die Ohren zu schlackern, dass sie gesagt haben, na gut, machen wir das halt noch irgendwie, kommt billiger).
Erst als ich durch das viele grobkörnige, unscharfe Schwarz-Weiß wandere, geht mir auf, wie sehr das die Ästhetik meiner jungen Erwachsenenjahre war, er und Leibowitz. Knapp arrangiert vor bevorzugt hässlichem Hintergrund, einfache Perspektiven erzählen klare Geschichten, die Porträtierten schauen gedankenverloren an der Betrachterin vorbei oder sind nur angeschnitten. Sie sind nicht sie selbst und gleichzeitig so wie wir sein könnten. Bowie als Jesus. Miles Davis, seine Hände und die großen Augen. Nüchtern und enigmatisch zugleich. Es gibt einen eigenen „Frauenraum“, nun ja, vorauseilend unterstellt man Corbijn den male gaze, weil er v.a. Jungs fotografiert hat, aber Frauen hat er auch sehr respektvoll repräsentiert, mit beiläufigem Sex-Appeal. Dort hängt zum Beispiel PJ Harvey und selten war eine Pose so unbeteiligt und sexy zugleich (das Licht im Gesicht, leider nicht wegzubringen).

Meine Mitschauenden sehen im Übrigen alle so aus wie ich, 50-somethings, die hier in ihre Jugend zurücktaumeln, mehr oder weniger Grau im Haar, aber immer noch Röhrljeans und Doc Martens, und jedenfalls Noise-Cancelling-Kopfhörer. Wir wurden erwachsen noch im Zeitalter der Verheißung, als alles offen dazuliegen schien nach dem Ende der Geschichte, das Dunkle, Ernste und Erhabene war die Pose, niemals hat jemand gelächelt außer spöttisch, wenn man ihnen heute noch dabei zuschaut, möchte man ihnen zurufen: „Geniert’s Ihr Euch nicht?“, vor allem bei diesem Bild (unter einem Totenschädel geht’s wohl nicht, aber zugegeben, ich war nie ein besonderer Depeche Mode Fan).

Ein Foto gibt es für meine Nederlandophilie, de Koning met Máxima, schön arrangiert mit ihrem wissenden Blick indirekt aus dem Spiegel heraus und ihrem zärtlichen Griff nach seiner Hand, interessant, dass die Niederländer*innen ihr Königshaus so verehren, nicht einmal der sicher weitgereiste und weltläufige Corbijn kann sich dieses Rückbezuges erwehren, das Bild hängt im Raum mit Bildern, die ihm angeblich selbst wichtig waren zu präsentieren, ich denke dabei auch an schwarztee* und freue mich, das ist für dich!

Hernach essen gehen in den Bräunerhof, weil da sicher keine Touristengruppen Schlange stehen wie sonst an den kulinarischen Hotspots der Innenstadt, kein Wunder, das Kommando heißt Cash Only und bitte keine Gruppen!

Ich hatte von früher noch romantische Vorstellungen vom Bräunerhof und stelle fest, dass die überholt sind, es ist inzwischen ein unfassbar abgeranztes Wiener Kaffeehaus, das wirklich alles tut, um nicht im 21. Jahrhundert anzukommen, die Polsterbänke so abgesessen, dass nur noch das verschnuddelte Grau der Kettfäden übrig ist, die blassgelben Vorhänge, die Patina an den Wänden inklusive Tropfen und Spritzer unklarer Provenienz, es ist eigentlich wirklich nimmer schön. Ein unschuldiges asiatisches Touri-Paar, das genau wie wir noch nicht mal einen Tisch hat, wird quer durch’s ganze Lokal angeherrscht, dass es nicht zu fotografieren hat, ich vermute, man geniert sich halt doch ein wenig. Dazu passt auch, dass der Kellner uns erst 5 Minuten auf einen offensichtlich nicht reservierten Tisch und dann 10 Minuten auf die Bestellung warten lässt. Als das Essen kommt, ist es zwar gut, aber die Portionen sind klein, gerade genug, dass man satt wird, man will also wirklich nichts verkommen lassen, wir essen alles bis zum letzten Krümel auf, zahlen und gehen schnell, ich glaube, das war’s mit mir und dem Bräunerhof.
Zum Abschluss ein Spaziergang in der Sonne und ein klavierspielender Straßenmusikant im Volksgarten, es ist noch eine Spur zu kalt durch den Wind, aber wir sitzen eine Weile da und lassen uns die Sonne ins Gesicht scheinen. Schön ist das, nach dem Winter immer wieder eine Wohltat. In Zeiten wie diesen ist der nächste Gedanke natürlich, wie lange es wohl dauern wird, bis einer die Wärme der Sonne wieder unerträglich wird. In drei, vier Wochen vielleicht, spätestens im Mai. Aber die Rosen tragen noch ihre Cafe do Brasil Hauben, die Rosenstöcke, die jemandem gehören, im Gedenken an Personen oder Ereignisse gepflanzt wurden, hier stehen zum Teil seit Jahrzehnten und wachsen und erinnern, vorerst unverrückbar.
