Der Tod ist auch klein und schnell und alltäglich

Seit gut einem Monat helfe ich nun also auch mit, Menschen mit unheilbaren, lebensverkürzenden Erkrankungen in Pflege in unsere Einrichtung zu bringen. Es wurde ein Teil einer Station dafür völlig umgestaltet, gemütliche, heimelige Zimmer wurden geschaffen, es gibt Aufenthaltsräume zum Verweilen und Blickfänge zum Schauen, alles in warmen Erdfarben, mit abgerundeten Kanten und viel weichem Stoff.

Einige Bewohner*innen haben sich bei uns schon gut eingewöhnt und werden mit der breiten Palette an Fachwissen meiner Kolleg*innen aus verschiedenen medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Bereichen und Disziplinen ganzheitlich betreut. Einige kamen bereits ziemlich geschwächt und sind binnen weniger Tage verstorben. Bei manchen dauerte es bereits von der Planung bis zur tatsächlichen Aufnahme zu lange, entweder verstarben sie bereits vor dem Termin oder das Krankenhaus teilte kurzfristig mit, dass ihnen der Transport nicht mehr zugemutet werden konnte. Und eine Person wird voraussichtlich sogar wieder nach Hause gehen, die stabilisierenden Behandlungen haben gut gewirkt, die Angehörigen trauen sich die Betreuung im privaten Umfeld jetzt wieder zu.

Ich habe die Wirkung all dessen auf mich etwas unterschätzt. Ich mache eigentlich nichts anderes als all die Jahre davor, aber die Aussicht auf den Tod ist imminenter und dringlicher. Ich werde vermutlich den jungen Mann nicht mehr vergessen, der mit mir alle administrativen Details so sachlich und kontrolliert besprochen hatte und nur drei Tage später, als ich ihm - wie so vielen anderen Hinterbliebenen davor - zum Ableben seiner Mutter kondolierte, zu weinen anfing und sagte, er habe gedacht, sie hätten noch Zeit. Ich möchte die Angehörigen gern in die entsprechend angemessene Anzahl von Schichten Watte packen, je nachdem, wie lange ich vermute, dass wir noch Zeit haben, wirklich wissen, wieviel es ist, können wir aber nicht.

Ich esse mehr und gerne süß. Ich bin abends hundemüde und schlafe gut. Ich habe oft Lust schwimmen zu gehen, weil ich dann ganz funktionierender Körper bin und Kreislauf und Muskeln spüre. Ich mache eine Fortbildung im Bereich, weniger um Neues darüber zu erfahren, vieles weiß ich schon, es geht mehr darum, meine Haltung zu überprüfen, Vorbilder zu finden, Erfahrungen und Erkenntnisse bestätigt zu bekommen und mich mit anderen Interessierten auszutauschen. Aber ich denke trotzdem viel im Stillen nach, über Hinfälligkeit und Krankheit bei mir oder meinen Lieben und über Verlust und wie schnell alles anders werden kann. Ich blicke dann am Wochenende in den blauen Himmel mit den Schäfchenwolken und bin erstaunt über die Tatsache, dass alle Menschen auf der Welt seit Anbeginn der Menschenzeit und auch in Zukunft diesen umwerfend schönen blauen, beschäfchenwölkten Himmel sehen, es erscheint mir wie eine bahnbrechend neue Erkenntnis.

Es ist mir nach diesem Monat sehr wichtig, zum Blogpost über den assistierten Suizid von Niki Glattauer etwas zu ergänzen: Es stimmt nicht, wie Glattauer in dem Interview andeutete, dass es unmöglich sei, als „Holzklasse“-Patient*in würdevoll begleitet zu sterben. Zu uns ins Hospiz kann grundsätzlich jede in diesem Bundesland lebende Person mit einer lebensverkürzenden Diagnose kommen und wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, wirklich alles, um zusammenzuhelfen, dass diese Zeit so schmerzfrei und angenehm und ruhig und gut wie nur irgend möglich gestaltet werden kann.

Es erscheint den Menschen oft so ungewöhnlich und überraschend, dass wir, bei aller Professionalität und nötigen Distanz, mitfühlen. Wenn wir das nicht könnten, wenn wir diese Arbeit machten, ohne das Mitgefühl und die Sorge füreinander ins Zentrum zu stellen, müssten wir sie gar nicht erst beginnen.