Der Wechsel

Ein Bedürfnis zu erzählen. Ein Bedarf nach Aussprache. Ich will nicht dauernd verschämt den Mund drüber halten. Es soll bitte Thema sein. Menschen sollen wissen, dass es existiert und viele von uns betrifft und verändert.

Begonnen hat es mit Mitte 40 mit Schlafstörungen. Aufwachen um 3.30, 4 h am Morgen. Immer plötzlich, aus tiefem Schlaf rausplumpsen ins Hellwach-Sein, der Geist angeknipst wie ein Scheinwerfer. Dann wachliegen. Nachdenken über dasLebendieKinderdieFamiliedenJob. Hunger. Aufstehen. Essen. Sich wieder hinlegen. Kurz vor der Weckzeit wieder wegdämmern, grantig endgültig aufstehen. Aber als Mutter ist man von dem Faktum „Wenig Schlaf“ für den Rest der Lebenszeit nicht mehr irritiert. Unausgeschlafen funktionieren ist wohlbekannt, vielfach durchgemacht, da wird einfach weitergekurbelt, kein Problem. Es ist mir auch lange nicht klar, ob diese Schlafstörungen tatsächlich perimenopausal bedingt sind. Zu unspezifisch. Vielleicht ist es ja auch „nur“ dasLebendieKinderdieFamiliederJob. Schließlich wandelt sich immer irgendwas in diesen Bereichen und die Mutter als rotierendes Zentrum reagiert eben seismografisch.

Dann wird die Regel unregelmäßig. HA! Was sich über die Jahrzehnte eingependelt hatte, erwartbar und vorhersehbar, zum großen Glück manage-bar geworden war, ist plötzlich wieder ein Stressfaktor, eine Unsicherheitskonstante. Ein paar Mal zu früh, öfter zu spät, wie eine Reminiszenz an die Zeit als junge Erwachsene, als jeden Monat das Warten auf die Periode die Erlösung versprach, nein, es ist nichts passiert, puh, nochmal Glück gehabt und nochmal (und dann einmal nicht, und es war doch Glück). Aber jetzt, ohnehin keine Gefahr mehr. Dafür verändert sich die physiologische Qualität des Prozesses selbst (from here on it’s gonna be graphic, aber wer bis hierher gelesen hat, will’s wohl wirklich wissen): Die Beschaffenheit des Blutes verändert sich, es wird flüssiger und heller, riecht anders. Es ist nicht mehr die Schwere und Sattheit der Fruchtbarkeit, sondern etwas Anderes, ein Auslaufen, ein Säubern aus alter Gewohnheit. Monatshygiene wird wieder ein Thema, es widerstrebt mir inzwischen immer mehr, Tampons zu verwenden, aber nichts ist so unsicht- und -fühlbar und gaukelt völliges Unbeeinflusstsein von diesen Körpervorgängen perfekt vor. Und Schmerzen sind auch noch dabei, natürlich. Das bekannte Krampfen, das Ziehen nach unten, das aufgestörte und kontrahierende Zentrum der Existenz, um das herum ein gewisses Quantum an Ruhe errichtet werden muss, um es auszuhalten, um es zu ehren und zu würdigen, für einen Tag jeden Monat.

(Einmal passierte mir tatsächlich der Supergau, im Sommer, ich war im Job und trug ein helles Leinenkleid. Ich hatte wieder gewartet und schon so lang gewartet, dass ich es vergaß, ich dachte wirklich, ich hoffte eben, der Kelch und so, Sie verstehen. Aber nein, der Tag war stressig, der Zeitdruck groß, die Telefonate und Gespräche viel, bis ich mich wieder auf mich selbst konzentrieren und etwas wahrnehmen konnte, war es bereits zu spät. Tatsächlich ein beschämend großer roter Fleck an der beschämendsten Stelle. Wie gut, dass ich in einem Unternehmen mit sofort verfügbarer Dienstkleidung und diskreten Kolleginnen arbeite.)

Aber zum Glück keine Wallungen, keine plötzlichen Hitzegefühle, kein unkontrollierbares Schwitzen. Bis jetzt. Vielleicht kommt das noch. Man weiß es ja nicht. Uncharted territory. Und es wird ja auch so eminent wenig darüber gesprochen. Es müssen sich immer ausschließlich Frauen im Raum aufhalten und am besten überproportional viele über 40. Dann darf das raus, dann erfährt man es als Frau, der das blüht, wie es sein wird, wie es sein kann. Dann erzählen plötzlich alle Frauen, die es bereits erleben oder erlebt haben, aufgeregt und schnell davon, überbieten sich gegenseitig mit den Erzählungen, gehen aufeinander gar nicht ein, sondern „bei mir war es so“, „nein, bei mir war es so“, „ich hatte Glück“, „ich hatte es schwer“. Vor vielen Jahren erzählte die Kollegin, dass ihre Regel eine Weile lang gar nicht mehr endete, eine konstante Blutung über Wochen hinweg. Solche Informationen bleiben dann hängen, die hütet man dann, die merkt man sich gut. Als es bei mir so weit war, dankte ich der Kollegin im Stillen, wenigstens ist das schon mal vorgekommen und ich hatte davon erfahren.

Es gibt wirklich nichts zu beschönigen, das Ganze ist extrem lästig. Die Regel war schon immer lästig. Das Fruchtbarkeitsgedöns an sich ist lästig, wissen Sie, für ein menschliches Wesen, das ja eigentlich nur Spaß haben will oder etwas lernen oder so in Ruhe dahinleben. Natürlich ist damit der Wechsel eine Verheißung. Endlich nicht mehr fruchtbar sein, endlich nicht mehr dieser Stress, diese Verantwortung. Es ist schon das Unsichtbar-Werden mit dem leicht fortgeschrittenen Alter ein Segen. Männer im Banne ihres Testosteronspiegels ignorieren eine ja so wohltuend, sobald die ersten Fältchen auftauchen. Out of their league, zum Glück, endlich. Man kann sich als Frau nun den wirklich wichtigen Dingen zuwenden: der körperlichen und geistigen Bewegung, den Herausforderungen, denen man sich im eigenen Tempo stellen kann, den Begegnungen, die keine andere Grundlage haben als freundliches, aufrichtiges Interesse aneinander, mit Respekt für den jeweils eigenen, schon stattgehabten oder noch zu führenden Kampf.

„The woman who is willing to make that change must become pregnant with herself, at last. She must bear herself, her third self, her old age, with travail or alone. Not many will help her with that birth. Certainly no male obstetrician will time her contractions, inject her with sedatives, stand ready with forceps, and neatly stitch up her torn membranes. It’s hard to even find an old-fashioned midwife, these days. That pregnancy is long, that labor is hard. Only one is harder; and that’s the final one, the one that men also must suffer and perform.” (Ursula K. Le Guin, The Space Crone, In: Dancing at the Edge of the World, Thoughts on Words, Women, Places)