Ibrahim Mahama, Kunsthalle Wien

Ich war ja zuletzt nicht gar so gut drauf. Um auf andere Gedanken zu kommen und bevor der Rest der Familie wieder vom Urlaub zurückkehrte, flitzte ich eilig in die Stadt, um diese Ausstellung zu sehen (auch um den Katzen zu entkommen, die die ganze Woche maximal 2 Meter von mir entfernt herumlagen und mich immer wieder anklagend anstarrten, weil nur ich als zu bekuschelndes Wesen da war).
In der Kunsthalle Wien im Museumsquartier sah ich mit Zilijifa die erste Einzelausstellung des ghanaischen Künstlers Ibrahim Mahama in Österreich. Der Begriff ist ein Kunstwort aus der Sprache Dagbani, einer in Tamale verbreiteten Gur-Sprache: "Mahama verknüpft das Wort für "Zug" (ziliji) mit den Begriffen für "Last" (zili), "Blut" (zim) und "Tierkadaver" (jifa) sowie mit dem Ausdruck für das Tragen von etwas auf dem Kopf oder den Transport in einem Fahrzeug (zi-ra)." (Aus dem Infoblatt in der Ausstellung)
Hauptwerk ist ein riesiges Zuggerippe, eine vom Innenleben völlig entleerte, stark von Rost befallene Lokomotive deutscher Provenienz, wie schwebend auf Stapeln hunderter verrosteter „Headpans“, Schüsseln, mit denen ausschließlich Frauen jahre- oder jahrzehntelang Waren aller Art auf dem Kopf transportierten, die ganze Installation ist raumgreifend und eindrucksvoll. Sie trägt den schönen Titel "The Physical Impossibility of Debt in the Mind of Something Living".



Es hängen überall vor und in den Ausstellungsräumen Warnungen aus, die Objekte nicht zu berühren, um sich nicht an rostigen Kanten zu schneiden, vor allem beim Durchqueren der Installation, etwas, das man sich sowieso nicht so mir nichts dir nichts traut. Ich wage es erst, nachdem der Künstler im Video davon gesprochen hat und ich den Museumsraumaufpasser nochmal gefragt habe, ich möchte nicht wieder ermahnt werden, weil ich illegal irgendwo drauf- oder durchgestiegen bin.


Am Rande der Ausstellung erzählt Mahama in einem sehr erhellenden Video über die Entstehung der Arbeiten, den Charakter der Objekte als geschichtsträchtig und von den Spuren der Zeit und der Benutzer*innen gezeichnet. Er vergleicht den Zug mit etwas Organischem, einem tatsächlichen Tiergerippe, einem lebendigen Erinnerungsraum, in den man als Betrachter*in eintreten kann wie in den Bauch eines toten Wals.
Die historischen Bezüge knüpfen an das Bahnsystem in Ghana, die als Transportwesen nur dazu da war, die Rohstoffe aus dem Land auszuführen und für die Kolonialherren gewinnbringend zu verschiffen, mit der Schienenführung als „Wirbelsäule“ des Landes: Nach der Dekolonialisierung wurden die Bahnen aufgegeben, wenn sie nicht zur Ausbeutung des Landes dienten, gab es keine Ressourcen für eine Aufrechterhaltung für den Nutzen der Bevölkerung. Die Frauen, die die Headpans trugen und bis heute tragen, bewegen jedoch im Laufe ihres Lebens das Vielfache der Lasten dieser Züge, im Dienste der Familien und der Gemeinschaft, unbelohnt tatsächlich, im Gegenteil, sie bezahlen selbst mit ihrer Gesundheit, wie die Röntgenbilder der Wirbelsäulen gegenüber der Zuginstallation zeigen.


Kunst ist für Mahama vor allem Ausdruck des menschlichen Strebens nach Gerechtigkeit und Freiheit. In einem Ausschnitt spricht er darüber, dass er mit dem Geld, das er 2014 erstmals mit dem Verkauf seiner Arbeiten verdiente, das Studio "Redclay" für Kunstproduktion und -vermittlung in der Stadt Tamale in Ghana eingerichtet hat (in der auch diese Arbeit entstanden ist), um einen dezentralen Ort für die Beschäftigung mit der Geschichte des Landes für junge Menschen zu schaffen und sie dazu zu inspirieren, ihre eigene Art der Auseinandersetzung damit zu suchen. Dabei fällt ein Satz, der mich sehr nachdenklich macht.
„Justice and freedom is not so much about the fact that we have it. It’s about the fact that we cherish the idea of it and we realize that we are willing to give it away, you know, for other people to have it.”
Was für eine tiefe Erkenntnis mit wenigen, klaren Worten! Nicht für uns selbst streben wir nach Gerechtigkeit und Freiheit, sondern für andere. Es ist nichts wert und führt zu nichts, wenn wir nur für uns selbst um Gerechtigkeit und Freiheit kämpfen. Meine Freiheit ist die Freiheit, die ich auf dich ausweite, die ich dir schenke, damit du sie weiterschenkst. Nur wenn dieser Kreis immer weiter besteht und nicht gebrochen wird durch jemanden, der die Freiheit nur für sich behalten will, kann sie blühen und gedeihen.
Ich bin voller Bewunderung für Ibrahim Mahama, dass er diese Wahrheit in seine Erzählungen so beiläufig einflicht, als wäre es selbstverständlich und nicht nötig genauer ausgeführt zu werden. Dabei will mir scheinen, als sei es genau dieses Missverständnis von einer Freiheit, die wir mit Zähnen und Klauen nur für uns selbst verteidigen und niemand anderem zugestehen wollen, die uns gerade den weltweiten Hals bricht.