Im Klangkörper

Was ich mir eingestehen muss, ist, dass ich über Musik nicht schreiben kann. Das ist überraschend und ein wenig schade, denn sonst schreibe ich ja gerne über alles Mögliche, von dem ich nur wenig verstehe. Das Problem ist, es ist eben Musik, ich merke mir nicht alle die feinen Momente, die ich dabei erlebe, wie sie zustande kommen, wie die Töne und Rhythmen mit welchen Instrumenten und Techniken von den Musiker*innen produziert werden, mir fehlt das Fachvokabular für ihre Beschreibung, es sind so viele, ich kann nicht mitschreiben.

Ich kann nur beschreiben, welche Wirkung sie auf mich hat. Sie reichert mich an, sie fächert mich auf, ich stelle mir das vor wie viele kleine Partikelchen, die plötzlich in mir in Schwingung geraten und farbige Bögen beschreiben, in zahlreichen Wiederholungen gegeneinander versetzt und alles beginnt zu leuchten und zu strahlen.

Ich erlebe Mamadou Diabate & Percussion Mania im Porgy & Bess, nach einem glücklichen Zufall auf Einladung durch M., die mich aus einem lazy cozy rainy Saturday aufgestört hat, es ist das Abschlusskonzert des jährlich stattfindenden Sabadu-Festivals, mit dem Diabate einige jüngere Künstler*innen aus Westafrika auf eine größere Bühne holt. Diabate ist ein schon länger in Wien lebender Balafonspieler aus Burkina Faso, das Instrument eine Art gebogenes Xylophon, mit unter den Brettchen montierten Kalebassen als zusätzliche Klangkörper. Den Grundrhythmus gibt ein Schlagzeug mit einer interessanten Basstrommel, eine große Halbkugel, die aussieht, als sei sie aus Leder gefertigt und die mit der Faust gespielt wird. Und natürlich eine Djembe. Ich hatte schon vergessen, wie sehr eine Djembe treibt, der helle, unüberhörbare, unerbittliche Ton einer am Rand angeschlagenen Djembe, dem kommt nichts und niemand aus, ich liebe diese Präsenz und Kraft. (Als ich jünger war, tanzte ich eine Weile mit einer haitianischen Lehrerin, zu besonderen Anlässen zur Live-Djembe, die Moves waren ähnlich, wie das heute ein paar junge Leute machen, die ein paar Mal kurz auf die Bühne kommen und mittanzen.)

Ich kehre zurück in diesen altbekannten Zustand eines Konzertes, bei dem von mir Mitarbeit erwartet wird. Es reicht hier nicht, eine Karte zu kaufen, still zu sein, zuzuhören und an den richtigen Stellen zu klatschen. Wir dürfen uns nicht nur berieseln lassen. Wir sollen Liebe geben, etwas zurückgeben, im Austausch dafür, was die Musiker auf der Bühne uns schenken mit ihrem Schweiß und ihrem humorfreien, verinnerlicht beseelten Lächeln während des Spiels. Monsieur Diabate ist hier ohnehin ein strenger Lehrmeister, er kennt offenbar bereits das verschnarchte Wiener 50plus-„Was sollen wir denn noch?“-Publikum, die Witzchen sind ein wenig unverschämt und herausfordernd, er unterhält und erzieht uns gleichermaßen. Eine Hymne auf die Mütter soll angestimmt werden, der Leitpercussionist zählt uns ein und wir antworten mit einer kleinen Melodiefolge mit dem Text „Yo, Mama-Yo!“, das sollten alle hinkriegen, schließlich haben alle eine Mama (gehabt) und sollten sie lobpreisen wollen. Es ist leicht, ich singe gerne bei sowas mit, keine Ahnung wie laut oder wie leise oder ob es mir richtig oder falsch gerät, man hört sich ohnehin selbst nicht, aber wenn wir es in der erforderlichen Lautstärke hinkriegen und ein zufriedenes Nicken des Maestros ernten, ist der gemeinsam erzeugte Hall erbaulich und schön, schweißt uns zusammen, wir sind ein Klangkörper, breiten uns aus bis in alle Winkel des Raumes, erfüllen ihn ganz, für diesen Moment.

Nun ja, ganz einfach, das ist das Wesen von Live-Musik, von Call und Response, von Kunst, es stellt eine Gemeinschaft her, im Zentrum steht der oder die Zeremonienmeister*in, kann begeistern mit dem Geschenk seiner oder ihrer Kunst und wird zurückbeschenkt mit der Begeisterung der Zuhörenden, hat die Macht und die Herrlichkeit, wenn alles gut läuft und er oder sie gut ist.

Wobei, Zeremonienmeister gibt es noch einen anderen, einen Moderator, der die anwesenden Honoratior*innen begrüßt, Botschafter*innen aus diversen Ländern, und der die Acts einleitet, er legt die Sache ein wenig übertrieben jovial an, aber macht sie doch ganz gut. Kurz vor dem Ende seiner Moderation sagt er, er wolle nicht zu politisch werden, kann es dann aber doch nicht lassen, auf den „Free Gaza“-Button hinzuweisen, den er am Revers trägt und darauf, dass Südafrika so mutig sei mit seiner politischen Positionierung. Erst da fällt mir auf, dass auch ich mich irgendwie positionieren muss, alleine dadurch, dass ich hier bin und dieser Musik zuhöre und dass ich dabei doch herzlich wenig über Burkina Faso und andere westafrikanische Länder weiß. Erst am Morgen nach dem Konzert stolpere ich über diesen Artikel, es ist verwirrend und bedauerlich und ein weiteres Stückchen vom Ende der selbstvergessenen Sorglosigkeit der weißen Mitteleuropäerin.

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