Im Parlament

Ich war im Maschinenraum der österreichischen Demokratie. Von selbst wäre ich wohl nicht auf die Idee gekommen, aber Freundin M. ist derzeit aus budgetären Gründen auf der Suche nach kostenfreien Kultur- und Veranstaltungsangeboten und hat mich gefragt, ob ich mitkomme. Bis ich vor dem Einlass stehe, wo nicht nur die Reservierungen, sondern auch unsere Taschen in einem Flughafenröntgengerät kontrolliert und wir mit einem Metalldetektor abgetastet werden, war ich mir der Bedeutungsschwere dieser Entscheidung nur unzureichend bewusst.

Aber es ist gut so. Wir dürfen passieren (nachdem der Kilo Bio-Gemüsebrühe, den ich zufällig für M. mithatte, als ungiftig identifiziert worden war) und betreten das Besucher*innenzentrum direkt hinter dem Pallas-Athene-Brunnen, das sogenannte Demokratikum. Man hat sich da wirklich was überlegt qua Wissensvermittlung nach der 6 Jahre dauernden Generalsanierung, die Räume seien davor Lager gewesen, erfahren wir bald, jetzt erstrecken sich multimedial erweiterbare Schautafeln an beiden Seiten des Raumes zur Geschichte des Parlaments, zu Funktionsweisen und Prozessen der repräsentativen Demokratie, doch wir haben eine Führung zu „Parlamentarismus und Frauen“ gebucht. Ich erwarte mir nicht allzu viel Neues davon, bin unkonzentriert, der ärmste Wissensvermittler muss mit einer nicht sehr kräftigen Stimme gegen den allgegenwärtigen Hall ansprechen und er dauert mich ein wenig, nimmt es aber sehr routiniert. Gut aber, dass man diese Führungen mit unterschiedlichen Perspektiven buchen kann, wie gesagt, man hat sich da etwas überlegt, nicht nur den Brandschutz modernisiert, neue Fluchtstiegenhäuser eingebaut und das Sicherheitskonzept grundlegend neu aufgesetzt.

Die Große Säulenhalle kennt man von unzähligen Fernsehinterviews als staatstragende Kulisse, gerade hängt unterhalb der Glasdecke eine recht eindrucksvolle Installation, die der Wissensvermittler nur auf Nachfrage erklärt, es sei ein jüdisches Trauergebet, das anlässlich des Gedenkens an den Holocaust hier aufgehängt sei. Es ist natürlich das Kaddisch, den Begriff selbst nennt er nicht, weil er den Zuhörenden nicht geläufig wäre und das Datum ist der 27. Jänner, der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, der erst 2005 von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erklärt wurde. Weder das Sujet noch der Tag sind im Bewusstsein der Zuhörenden sehr stark verankert, gewinnt man den Eindruck, aber es ist eine photo opportunity, die alle eifrig nutzen.

Ich bin immer noch nicht sehr aufmerksam, obwohl sich der junge Mann durchaus Mühe gibt und weiter routiniert sein Programm abspult. Gut, sie hieß Christine de Pizan (und nicht Annette) und sie schrieb das Buch „Die Stadt der FrauEN“ (und nicht die „Stadt der Frau“) wie M. mir zuraunt. Aber ich mache mir am meisten Sorgen um die Stimme des Wissenvermittlers, es hallt immer noch sehr in diesen hohen prunkvollen Räumen, die mit moderner Kunst gebrochen und gespiegelt werden, ein griechischer Gott schaut sich uns disapprovingly von der Seite an und denkt sich seinen Teil.

Das Tageslicht durchflutet die ganze Höhe und Weite des Säulenprunks, das ist gleichzeitig beruhigend und anregend. Der erste Gedanke im Sitzungssaal der Bundesversammlung gilt der Rede von Michael Köhlmeier, die nicht einmal hier stattgefunden hat, sondern 2018 in der Hofburg, zum Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus. Sobotka habe ihn ermutigt, die Dinge beim Namen zu nennen. Strache und Gudenus hören noch honorig und unbewegten Gesichts zu, es wird noch ein Jahr bis zur Veröffentlichung des Ibiza-Videos dauern.

Und schließlich sitzen wir im neu gestalteten Nationalratssaal, rein zufällig auf den Plätzen der Roten, hier war ich schon mal, vor einigen Jahrzehnten habe ich hier sogar am Rednerpult gesprochen, ein Schülerparlament (damals genderte man noch nicht), und ich hielt eine Rede mit feministischem Inhalt, ich weiß noch, dass mich damals ein freiheitlicher Parlamentarier danach ansprach, als ich wieder in einer der Reihen saß, sich vertraulich hinhockte neben mich und mir etwas Bestärkendes zuflüsterte und an mein peinliches Berührtsein deshalb.

Der Saal wirkt jetzt moderner, bequemer, angeblich sei er als Ganzes etwas nach unten versenkt worden, dadurch entstand Platz für mehrere Besucher*innen-Galerien, die Bankreihen der Abgeordneten steigen nicht mehr so steil an, es hat alles eine etwas entspanntere Anmutung als die Treppenschluchten und hohen, blanken Holzvertäfelungen der Regierungsbank von damals.

Am Rückweg sehe ich, dass sich Heinz Fischer als ehemaliger Parlamentspräsident von Xenia Hausner porträtieren hat lassen, das spricht eindeutig für ihn. (Andreas Khol ist ein reliefgeschnitzter, als Andreas Khol nicht identifizierbarer Wurzelsepp, das Porträt der so verdienstvollen Barbara Prammer ist ein Siebdruck in Grauabstufungen, beides wirklich nicht schön. Gut gemacht, Heinzi!)

In all dem Stein und Holz und Hall gewordenen Prunk scheint es irreal, dass die Demokratie so fragil geworden sein soll, es ist doch eine so geschichtsträchtige Institution, denke ich bei mir, 450 ständige und 450 freie Mitarbeiter*innen, referiert der Wissensvermittler, die kann man doch nicht alle nach Hause schicken. Zurück im Besucher*innen-Zentrum begegne ich dann den Klubobleuten der Parlamentsparteien auf etwas unheimliche Weise, sie betreten nämlich in Lebensgröße Vidiwalls, stellen sich vor einer auf und sprechen zu einer, wenn man ihnen die vorgefertigten Fragen auf einem Monitor stellt. Vor mir steht natürlich rein zufällig Herbert Kickl und erzählt mir, dass alle Politiker (natürlich ungegendert) übercoacht seien und dadurch keine Fragen beantworten würden und so unnatürlich und der Realität entrückt wirken. Er selbst rede hingegen, wie ihm der Schnabel gewachsen sei und ich fühle wieder die Mischung aus tiefer Abscheu und wütender Ohnmacht, die ich immer fühle, wenn ich diesen Mann sprechen sehe und höre.

Bevor wir gehen (unsere Mäntel nehmen wir entgegen von dem einen Garderobier, der deutlich mit BKS-Akzent spricht und dem anderen Garderobier, der dunkle Haare und dunkle Augen hat und einen sehr gepflegten Vollbart trägt), will M. fragen, ob es die Führungen auch in anderen Sprachen als in Englisch gibt, denn sie möchte mit ihrem Vater noch einmal herkommen. Nein, sagt der freundliche Wissensvermittlermitarbeiter, es gebe keine Führungen auf Bosnisch-Kroatisch-Serbisch oder Türkisch, nur in den Sommermonaten auf Spanisch, Italienisch und Französisch. Aber wir sollen es als Anregung der Parlamentsdirektion schreiben, das wirke immer besser, als wenn er so etwas weitergibt.

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