No way to be a poor thing

(Achtung, wer den Film noch anschauen mag, Spoiler!)

Ich habe “Poor Things” gesehen, den neuen Film des griechischen Regisseurs Yorgis Lanthimos, von dem ich noch nie etwas gehört habe, aber das will nichts heißen. Die Rezensionen feiern den Film als „schamloses Kinowunder“ und versuchen, nicht in zu viele Superlative auszubrechen und das ist ja alles schön und gut, ich war auch recht gut unterhalten. Opulent und so, Sie wissen, viel CGI, viele starke Farben nach streckenweise Schwarz-Weiß wegen der Bedeutsamkeit, für die Dame nur Kostüme mit Puffärmeln wegen der Präsenz aus den Schultern heraus, schräge Musik, Fisheye und sonstige verzerrte Kameraeinstellungen. Wir befinden uns in einer Parallelwirklichkeit, schon klar. Aber die Konzepte von Männern und Frauen, von Herkunft und Entwicklung, von Vernunft und Emotionalität, die sollen ja doch echt sein.

Ich bin vor allem wegen Ms Emma Stone in diesen Film gegangen, ich liebe ihr Gesicht. Sie ist keine klassische Hollywood-Schönheit, mit ihren etwas harten Zügen, dem hellen Hauttyp und dem abweisend geformten Mund. Aber sie ist einfach toll, sie spricht mit englischem Akzent, als wäre sie keine Amerikanerin, und natürlich haucht sie der Puppe meisterlich absolut nachvollziehbar ungehemmtes Leben ein.

Aber zurück zu den Konzepten, wie bringe ich den abstrusen Plot zusammen damit, dass ich die Konsequenzen daraus absolut ernstnehme? Bella Baxter nennt ihren Schöpfer, den Chirurg Godwin Baxter „God“, er hat sie nach einem Selbstmordversuch tot aus dem Wasser gefischt, ihr das Gehirn ihres eigenen ungeborenen Kindes eingesetzt und sie wiederbelebt. Als Geschöpf Gottes und sich ihrer selbst langsam bewusst werdend ist sie hinreißend in ihrer anarchischen Wildheit und ihrem Entdeckergeist, der sich zunehmend auf ihre Sexualität ausweitet, Bella, the sex-plorer, Sie verstehen. God lässt sie auch gewähren, hat eh keine Chance gegen sie und ihren starken Willen, statt mit ihrem braven Verlobten und God‘s Assistenten Max McCandle mit dem narzisstischen, windigen Anwalt  Duncan Wedderburn durchzubrennen.

Nach einiger Zeit „furiously jumping around“ (again, Sie verstehen) aber muss Bella mit den Härten des Lebens konfrontiert werden und hier kippt das Ganze, denn warum sie beim Anblick von „dead babies“ und anderen in irgendeiner unerkennbaren Weise Unglücklichen von einem Luxuskaffeehaus auf einer Anhöhe herunter plötzlich ihre soziale Ader entdeckt, untröstlich weint und schließlich ungeschickt Duncans Geld verschenkt, ist nicht nachvollziehbar.  Warum trifft sie etwas, das wir als Zuschauer*innen kaum erkennen können? „Die Armen“ sind nur Mittel zum Zweck, um sie "entwickeln", ihren Ausgang aus der Naivität zu illustrieren, ihrem Charakter Tiefe geben zu können.

Ähnliches trifft, simma sich ehrlich, auch auf ihr weiterhin immer „schamloser“ werdendes Sexualleben zu. Verarmt reisen die beiden weiter, of course!, nach Paris und Bella entdeckt, dass sie sich nur prostituieren muss, wie praktisch, sie braucht eh Sex UND Geld. Es tut mir ja selber leid, aber das ist und bleibt eine Männerfantasie, die unbekümmert promiskuitive Frau, die sich freimütig verkauft und auch noch Spaß dran hat, die eine gewisse Brutalität von Seiten sie stumm konsumierender Männer „surprisingly not unpleasant“ findet. Selbstverständlich nämlich mündet ihre Promiskuität nie in einer Schwangerschaft, mit der Tatsache, dass sie kognitiv ihr eigenes Kind ist, hat sich die emotionale und moralische Seite des Themas der Einfachheit halber offenbar erledigt. Das ist halt am Ende einfach nur ein halbes Frauenleben. Da beginnt es ja erst kompliziert zu werden!

Nun ja, God ist schließlich sterbenskrank und sie eilt zurück zu ihm und auch zu ihrem Immer-Noch-Verlobten Max. Doch bevor sie letzteren erbravt heiraten kann, dreht sie schließlich noch eine Schleife (der Film IST übrigens überlang) zum Ehemann aus Zeiten vor ihrem Selbstmord, der ist ein brutaler, übergriffiger Ungustl und sie nähert sich ihm aus rein wissenschaftlicher Neugier nochmal an.

Das Gute ist, dass man sich um Bella niemals Sorgen machen muss, sie wird mit diesem grausamen Trottel spielend fertig. Nebeneffekt ist, dass dieser Mann, ähnlich wie Wedderburn davor, zum kompletten Idioten degradiert werden kann, was eine kindisch-grimmige Befriedigung bei dem*der Zuschauer*in schafft, aber eigentlich in sich nicht völlig logisch ist, alle Protagonist*innen herabsetzt und dadurch letztlich verstimmt.

Das trage dazu bei, dass dieser Film, sagte meine diesbezüglich sensible Begleitung, als „Frauenfilm“ betrachtet werden könne. Vielleicht ist es letztlich die Qualität des Films, dass man in Millenial-WGs trefflich darüber streiten wird können, ob entweder dieses Label oder jenes der „Männerfantasie“ kleben bleibt.

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