Olga Kosanović und Musette
Es ist so inspirierend, Frauen dabei zuzusehen, wie sie ihre Kunst und/oder Expertise der Welt zur Verfügung stellen! Mit wieviel Engagement, Herz und Stolz sie das machen! Zwei Begebenheiten der letzten Tage möchte ich Ihnen nicht vorenthalten und Ihnen wärmstens weiterempfehlen, sollten Sie ebenfalls die Gelegenheit dazu haben.
Durch meinen großartigen Arbeitgeber (ich lobte ihn bereits wiederholt) kam ich in die Lage, ein Preview des Dokumentarfilms „Noch lange keine Lipizzaner“ von Olga Kosanović zu sehen. Die junge austro-serbische Regisseurin erzählt darin verspielt-dokumentarisch von ihrem Weg der Beantragung der österreichischen Staatsbürgerschaft, sie ist in Österreich geboren und aufgewachsen, hat ihre komplette Ausbildung hier und in Deutschland absolviert, spricht natürlich akzentfrei Deutsch und ist quasi völlig durchdrungen von der vielbeschworenen österreichischen Kultur, bis auf diesen Wisch Papier eben, wo draufsteht, in welchem Land sie wählen darf und wessen Reisepass sie bekommt.
Das Management meines Arbeitsgebers fährt derzeit – antizyklisch zur Weltlage – eine Kampagne zu Vielfalt und Diversität, und besonders in der Dimension Herkunft/Nationalität ist dieser Film für uns interessant. Gut ein Drittel unserer Mitarbeiter*innen in der Pflege und Betreuung haben keine österreichische Staatsbürgerschaft (das entspricht etwa dem Prozentsatz in der Stadt Wien allgemein) und man kann sich vorstellen, was das für ihre Repräsentation gerade in diesem gesellschaftspolitisch so umstrittenen Thema bedeutet.
Der Titel des Films leitet sich ab von einem Social-Media-Trollposting, das abgesetzt wurde, als Kosanović ihren Fall öffentlich machte: „Wenn eine Katze in der Hofreitschule Junge wirft, sind das noch lange keine Lipizzaner.“ Es bleibt einer fast die Luft weg, weil diese ekelhafte Aussage so viele Aspekte von Rassismus in sich vereint (Vergleich von Menschen mit Tieren, Hierarchisierung, Abwertung qua Geburtseigenschaft) und dabei so selbstbewusst und -gefällig rüberkommt.
Das österreichische Einbürgerungsrecht gehört zu den restriktivsten der Welt, in der EU sind wir mit Bulgarien an der Spitze, weltweit haben nur zwei Länder ein noch restriktiveres: die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien. Die inzwischen vielen Jahrzehnte von tonangebendem Rassismus durch die Oppositionspolitik der FPÖ haben hier leider volle und nachhaltige Wirkung gezeitigt, es ist haarsträubend, wie teuer, bürokratisch aufwändig, nein, wie willkürlich und schikanös dieser Prozess jetzt ist. Verwaltungsübertretungen wie Falschparken oder bei Rot über die Ampel gehen können Hindernisse sein, Aufenthalte im Ausland müssen minutiös nachgewiesen werden, ob es jetzt Besuche bei Verwandten sind oder Studiensemester, und sie können bei bestimmter, nicht allzu hoch angesetzter Dauer nahelegen, dass der Lebensmittelpunkt nicht Österreich sei. Einkommensgrenzen sind so absurd hoch angesetzt, dass nach der Einkommensstatistik zwei Drittel der Arbeiter*innen mit Staatsbürgerschaft sie theoretisch nicht erreichen würden, wichtiger Teil der Prüfung ist, ob schon Sozialhilfe bezogen wurde, ob damit zu erwarten sei, dass der*die Neo-Österreicher*in dem Staat (wieder?) böswillig auf der Tasche liegen werde.
Der ganze Prozess ist in seiner Grundtonalität so demütigend, es ist kaum zu ertragen. Kein Wunder, dass viele Migrant*innen sich dieser Herausforderung nicht gewachsen sehen und damit der Anteil der Menschen, die im Land leben und arbeiten und dennoch politisch nicht repräsentiert sind, immer weiter steigt, eine demokratiepolitisch eminent gefährliche Situation. Die Expert*innen-Interviews im Film (sehr informativ die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger!) sprechen u.a. davon, dass hier eine grundsätzliche Denkschule zum Tragen kommt: Das Erlangen der Staatsbürgerschaft wird als „krönender Abschluss“ der Integration verstanden, mit der der*die Migrant*in endlich bewiesen hat, „gut genug“ für diesen Staat zu sein, während die Forschung zeigt, dass ein liberaleres Einbürgerungsrecht, das das Erlangen des Bürger*innen-Status eher an den Anfang des Integrationsprozesses setzt, damit eigentlich die Identifikation mit dem Aufnahmeland viel besser unterstützen kann.
Im Anschluss an den Film gab es noch eine Podiumsdiskussion u.a. mit Vertreter*innen der Stadt, aber ich blieb dazu nicht mehr, Staatsbürgerschaftsrecht ist Bundessache und ich kann es nicht mehr ertragen, wenn alle bedauernd die Köpfe wiegen und leider nichts machen können. Außerdem war ESC-Halbfinale mit JJ, in der U-Bahn konnte ich gerade noch seinen Auftritt streamen, das Staging war leider nicht so nach meinem Geschmack, hoffe, das trübt seine Siegchancen nicht. Der Film jedenfalls, Sie entschuldigen den abrupten Themenwechsel aus aktuellem Anlass, kommt in Österreich im September in die Kinos, schauen Sie sich das bitte an, wenn Sie können.
Und am gestrigen ESC-Pausetag schließlich besuchte ich eine recht ungewöhnliche Veranstaltung, den Vortrag von Dr. Barbara Horejs, Archäologin, Expertin für das Neolithikum in der Buchhandlung „Musette“ in Wien Neubau. Was für ein großartiges Konzept, die Eignerin dieser Buchhandlung stellt immer drei Monate unter ein bestimmtes Motto, verkauft thematisch passende Bücher und organisiert eben auch Veranstaltungen dazu, „Apéros“ genannt. Aktuell lautet das Motto „Pionier*innen“ („Themen wie Neugier, Innovation, Migration, Anthropozän, alles durch die Perspektive der Archäologie“).
Das kleine Geschäftslokal war gesteckt voll, also braucht man meine Promo wohl nicht unbedingt, aber es war so interessant und anregend, dass ich es doch weiterempfehlen möchte (hier die nächsten Events). In vivo irgendwo zusammensitzen und einer Person zuhören, die sich in ihrem Fachgebiet hervorragend auskennt und ihr breites Wissen auch gut verständlich weitergeben kann, den Fragen und Antworten zu lauschen, unmittelbare Reaktionen zu spüren und einfach miteinander in direkten Austausch zu gehen, wie schön ist das eigentlich, ich bekam große Lust, das Archäologiestudium doch noch zu beginnen (haha!). Dieser leichte Prähistorie-Vogel hat sich bei mir in letzter Zeit nochmal verstärkt, ich finde diese Geschichtsperiode hochinteressant, auch und gerade im Zusammenhang mit meinem Hintergrund als Sozial- und Kulturanthropologin und auch im Hinblick darauf, auch Dr. Horejs wies darauf hin, dass alle Probleme, die derzeit weltweit so virulent sind und uns voraussichtlich menschheitsgeschichtlich den Hals brechen werden, Privateigentum, Land(über)nutzung, Territorialität, ihren Ursprung im Neolithikum und in der agrarischen Revolution haben.
Also bitte, schauen Sie sich auch das an, solange wir noch können, was sollen wir sonst tun? Und juhu, heute Abend die Entscheidung im ESC, verurteilen Sie mich nicht oder zeihen mich der Unernsthaftigkeit, es ist doch einfach nur ein harmloser großer Spaß!