Polako!
Viele Wochen ohne Eintrag, ich schreibe viel weniger als ich lese, ich fülle mein Hirn mit Geschichten und Perspektiven, meine eigenen verändern sich wohl, aber unter der Oberfläche, das zurückzuspielen in die Welt wäre ein größerer Aufwand. Es liegt nicht daran, dass ich keine Zeit hätte, um hier gleich gar kein falsches Mitleid zu heischen. Ich müsste nur ein paar Gewohnheiten umstellen, ein paar schlechte. Noch disziplinierter sein, das Unproduktive, Schleißige raushauen, nur noch das Zielgerichtete, Absichtsvolle zulassen. Hmja. Ob ich nicht dafür schon zu alt bin, zu sehr eingefahren „in my ways“ und zu abhängig vom Erholungswert der Schleißigkeiten.
Ich hatte lang keinen richtigen Urlaub, das merke ich sehr stark. Das ständige Gefordert-Sein, das Habt-Acht-Stehen, das Nicht-Lockerlassen, auch wenn es zeitlich gut abgegrenzt ist, es äußert sich schließlich nicht so sehr in Erschöpfung, obwohl auch das ein Faktor ist, eine unbestimmte, aber bleierne Müdigkeit schon früh am Abend. Vor allem bleibt eine Leere zurück, eine Hohlheit der Emotionen und Ambitionen, eine Ideenlosigkeit und ein Zurückscheuen vor der Mühe, die mit der Organisation eines energieausgleichenden Privatlebens verbunden wäre. Von einem echten Burn Out bin ich natürlich weit entfernt, aber ich bekomme ein Ahnung, wie es sich anfühlt, ein schwarz verkohlt ausgebrannter Innenraum, wo nichts mehr wachsen kann.
Es ist ja auch gar nicht so die Arbeit selbst belastend, sondern in letzter Zeit vor allem, dass ich Zeugin werde, wie die Systeme immer weiter wackeln und kippen. Ohne hier ins Detail gehen zu wollen und können, es ist eine Tatsache, dass öffentliche Institutionen, die Geld für Pflege und Betreuung zur Verfügung stellen, immer restriktiver bei der Zuerkennung der Leistungen werden, die Prozesse werden noch schwerfälliger und langsamer, diese zeitlichen Ausdehnungen, ob absichtsvoll oder auch durch Personalmangel bedingt, haben Auswirkungen auf die Finanzierungssicherheit der unmittelbaren Leistungserbringer. Absolut gesehen steigen die Ausgaben natürlich immer weiter an, aber in der direkten Arbeit stehen wir vor der Situation, dass wir die Betreuung von immer mehr Menschen mit hohem Bedarf und hohen Erwartungen mit immer weniger ausführendem Personal in zersplitternden Kompetenzen zu leisten haben. Das Management steht Kopf und treibt immer weiter an auf Feldern mit extrem eingeschränktem Spielraum, die operativ Tätigen schütteln die Köpfe und sagen: „Was wollt ihr denn noch, wir tun doch eh schon, was wir können!“ Beinah unnötig zu erwähnen, dass hier auch diverse Intersektionalitäten ins Spiel kommen, hie die gut ausgebildeten, gut verdienenden Autochthonen mit hohem Männeranteil, da die weniger gut ausgebildeten, weniger gut verdienenden Menschen mit Migrationshintergrund, zum weitaus überwiegenden Teil Frauen. Ich gehöre natürlich zur ersten Kaste, aber ich erlebe täglich die Mühen und Schmerzen der zweiten. Wie positioniert man sich da? Wenn man sich auch nicht wirklich einmischen darf, soll, kann? Wenn es Vorgaben gibt, Anweisungen, Aufträge, die immer wieder ein bisschen gebeugt werden müssen, um ihnen die Spitze zu nehmen? Reicht das aus? Ist das schon Subversion?
Was nicht alles Subversion sein kann dieser Tage! Freundlich sein, solidarisch sein, lieb sein. Angesichts der Weltlage, Sie wissen. Ich bin nicht ganz überzeugt, obwohl es schon so sein könnte, wenn so viele hassen und verachten und andere herabwürdigen, dann muss es was Gutes sein, das eben gerade nicht zu tun und sich um gedeihliche zwischenmenschliche Vorgänge zu bemühen. (Meine Vermutung wäre, dass das jetzt noch leicht ist, die Prüfung kommt, wenn das Freundlich-Sein herausgefordert wird von einem möglichen persönlichen Nachteil, der daraus erwächst.) Was ich aber in den letzten Wochen stark bemerke, ist, dass mir Langsamkeit guttut. Innehalten, atmen, schauen, spüren, mit den Gedanken nicht über den Bewegungsablauf oder Sinneseindruck des Moments hinausgehen. Wenn alles zu viel wird, erinnere ich mich daran. Polako! An einer kroatischen Küste vor vielen Jahren sagte das ein Vater zu seinem Kind und dieses Wort hallt dann in meinem Kopf wider. Oder auch: Tranquilo! Vor anderen vielen Jahren sagte das jemand sehr häufig zu mir und es wird wohl Zeit, wieder drauf zu hören.