Reading: bell hooks - Lieben Lernen

Vor fast zwei Jahren las ich „Alles über Liebe“, hooks‘ grundlegendes Werk, das zwei Jahre vor diesem Buch entstand.

Damals schrieb ich darüber auf einem anderen, inzwischen stillgelegten Blog:

Dieses Buch ist selbst wie ein schwieriger Liebhaber. Manchmal möchte man sich als Leserin reinlegen, jubeln, in seiner Umarmung vergehen und verschwinden. Manchmal aber auch ist man geneigt, hineinzuschreien, wie es sich das denn alles in der Praxis vorstellt, all diese hehren Ideale. Manches ist auch klar sexistisch, manche Aussagen über Männer sind schlimmste Gemeinplätze.

Ich könnte nicht sagen, dass ich den Inhalt, auch nach dem zweiten Mal lesen, mit dem Verstand voll begreifen konnte. Ich habe mir wesentlich scheinende Sätze und Begriffe unterstrichen wie immer, ich hatte Lust, eine Mindmap zu malen mit den Begriffen und Konzepten, um ihre Zusammenhänge und Gegensätzlichkeiten besser zu erfassen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass dieses Buch eigentlich kein Sachbuch ist oder eine Handreichung, sondern eine Predigt.

Nun, die Grundlagen habe ich doch gelernt bzw. bestätigt gefunden. Eine brauchbare Definition von Liebe nämlich, „den Willen, das eigene Selbst auszudehnen, um das eigene spirituelle Wachstum oder das eines anderen Menschen zu nähren“.

„Liebe ist das, was Liebe tut. Liebe ist ein Willensakt – nämlich sowohl eine Absicht als auch eine Handlung. Wollen beinhaltet auch eine Wahl. Wir müssen nicht lieben. Wir entscheiden uns zu lieben.“

„Um wirklich zu lieben, müssen wir lernen, verschiedene Elemente zu kombinieren – Fürsorge, Zuneigung, Anerkennung, Respekt, Hingabe und Vertrauen sowie eine ehrliche und offene Kommunikation.“

Keineswegs will hooks auf der individuellen Ebene bleiben und den Menschen nur für ihre persönlichen Beziehungen ihren Rat nahelegen, ihr Projekt ist die Propagierung der transformativen Kraft der Liebe im gesellschaftlichen Kontext, die Bedeutung der Liebe als universelles Prinzip.

Im Rückblick zeigt sich, dass ich den Text damals offenbar ganz und gar nicht im Hinblick auf meine persönlichen Beziehungen gelesen habe, auch nicht bezogen auf meine psychische Verfasstheit, sondern ausschließlich in einem weit hergeholten, beruflichen Kontext darüber nachdachte. (Vielleicht hatte ich aber auch nicht ausreichend Geduld dazu, dabei genauer über mich nachzudenken. Oder Angst davor.)

Diesmal ist das anders, weil ich - in ähnlichem Alter wie die Autorin zur Zeit der Abfassung des Buches - vor ähnlichen Fragen stehe. Auch ich erforsche, ob ich Liebe in meinem Leben erlebe und ob es noch andere Formen der Liebe gibt, die ich suchen kann und welche das sind.

Es ist gar nicht einfach, das genau so hinzuschreiben. Sehnsucht nach Liebe. Als Frau. Es erfordert Mut. Fast die Hälfte des Buches handelt von genau diesem Konflikt: Unter patriarchalen Bedingungen ist eine Frau, die von ihrer Suche nach Liebe spricht, verdächtig, weil sie entweder immer noch der Meinung anhängt, dass ihr Leben ohne einen Partner nichts wert wäre oder dass sie sich ja ohnehin als Frau für Liebe hauptzuständig betrachtet und damit in feministischer Hinsicht nicht über sich hinauswächst, wenn sie nicht ausschließlich nach Teilhabe, Gerechtigkeit und Selbstbehauptung, sprich nach Macht strebt. (Gerade eben schreibt man in der Zeitung von der Analyse von wissenschaftlichen Studien, die den Schluss nahelegt, dass Männer eigentlich existenziell sehr viel abhängiger von der Liebe ihrer Frauen sind, wobei sich die Frage stellt, ob es sich dabei wirklich um Liebe handelt oder nur um Fürsorge, die sie besser leben, ihre Frauen aber depriviert und enttäuscht zurücklässt.)

Nun, ich habe kein Interesse mehr an derlei Sperenzchen also einseitigen Zweckbeziehungen, die das persönliche Wachstum gerade nicht fördern. Folgt man hooks, muss ein solches Eingeständnis darauf abzielen, sich dem Startpunkt zuzuwenden und das ist ohnehin die Selbstliebe, die empathische Selbstwahrnehmung, die Fürsorge, Erkenntnis, Respekt und Verantwortung für sich selbst umfasst. Easy enough, hard enough.

(Ich meine, man merkt ein bisschen, dass hooks selbst keine Kinder hatte, denn das Offensichtliche, nämlich dass etwa Frauen mittleren Alters, die Mütter sind und nicht das Glück hatten, sich die Erziehung mit einem Partner aufteilen zu können, erst wieder ausreichend Zeit für Selbstfürsorge haben, wenn ihre Kinder selbständig sind, wird nur implizit thematisiert.)

[Ich denke öfter darüber nach, wie schwer es mir immer noch fällt, diese sehr alte Prägung zu durchbrechen und mich einfach für eine wohlwollende Haltung mir selbst gegenüber zu entscheiden. Einfach damit aufzuhören zu denken, dass ich nicht genug sei, nicht selbstsicher genug, nicht authentisch genug, nicht interessant genug, nicht fähig genug. Diese Gedanken einfach fallenzulassen, sie zurückzulassen, so zu tun, als seien sie nicht denkbar. Kurz fühlt sich dieser Gedanke immer ganz leicht an, wie die absolute Befreiung. Warum war das Sich-Selbst-Klein-Machen dann immer so stark? Es muss eine Schutzbehauptung sein, es muss eine Angst sein, wirklich Verantwortung zu übernehmen, sich anzustrengen, Kämpfe auszufechten.]

Aber es gibt Hoffnung. Zum ersten Mal lese ich in einem Buch eine Beschreibung des Konzepts von „romantischen Freundschaften“, und stelle fest, dass ich mich und einige meiner langjährigen Beziehungen, hauptsächlich zu Frauen aber auch zu einigen Männern, in dieser Formulierung perfekt wiederfinde, ohne dass diese Art der Beziehung jemals vorher schriftlich oder mündlich als etwas Distinktes, Beschreibenswertes von mir wahrgenommen worden wäre. Fast noch besser ist die Formulierung der „absichtsvollen“ Beziehungen, denn meiner Erfahrung nach sind Spielarten von nicht ausgelebter, aber nutzbringender sexueller Spannung in manchen aber nicht in allen diesen Beziehungen vorhanden, wohl aber immer eine Absicht der Verbindlichkeit, ein unabgesprochener, aber von beiden Partner*innen getroffener Entschluss, dass diese Beziehung etwas Besonderes und Einzigartiges ist und es eine Frage der persönlichen Integrität ist, sie über alle vielfältigen Wechselfälle im Leben hinaus aufrechtzuerhalten, weil sie eine*n nährt, schützt und zum Wachsen anregt. Glücklich bin ich, solche Beziehungen unterhalten zu können, und die Arbeit der letzten Zeit an mir und meinem Selbst, sowohl körperlich als auch seelisch, haben tatsächlich dazu beigetragen, diese Beziehungen zu verbessern und stabiler zu machen.

Stichwort Arbeit, ich kann nicht anders, als das Schreiben über dieses feministisch inspirierte Buch zu beenden mit dem Zitat des 19. Jahrhundert-Empfindsamkeitsfuzzis Rainer Maria Rilke, das hooks irgendwann mittendrin ins Buch rückt: „Die Leute haben, wie so vieles andere, auch die Stellung der Liebe im Leben missverstanden, sie haben sie zu Spiel und Vergnügen gemacht, weil sie meinten, dass Spiel und Vergnügen seliger denn Arbeit sei; es gibt aber nichts Glücklicheres als die Arbeit, und Liebe, gerade weil sie das äußerste Glück ist, kann nichts anderes als Arbeit sein.“

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