Reading: Mareike Fallwickl - Die Wut die bleibt
Ein In-einem-Rutsch-Buch. Sehr gut geschrieben, starke Sogwirkung, ein Nachmittag, ein Abend, ein Morgen. Ich musste es zu Ende lesen, auch wenn ich mich ab der Mitte teilweise nur noch geärgert habe. Ich wollte wissen, ob es sich noch erfängt.
(Ab hier kommen Spoiler! Ich hab‘ keinen Nerv aufzupassen.)
Dazwischen habe ich das Bad geputzt und ich konnte immer nur denken: „Unredlich! Es ist unredlich!“ Es ist unredlich, so etwas absolut unausdenkbar Schreckliches wie den Suizid einer Mutter von kleinen Kindern als Folie zu verwenden für Plakativfeminismus. Ein bisschen kenn ich mich aus mit Kinder-Allein-Erziehen und Müttersuiziden und die Wirklichkeit wäre so deutlich vielschichtiger und subtiler als diese Geschichte. Man erfährt zu wenig über Helenes Vergangenheit, Traumata wie Missbrauch oder ein liebloses Elternhaus werden angedeutet, aber es ist nicht genug, um so etwas Monströses wie diesen Suizid, vor den Augen der Kinder, zu erklären. Es ist nicht Zorn oder Wut, die von so etwas bleiben, es ist eine so niederschmetternde Traurigkeit und Haltlosigkeit, die zu ganz anderen Tiefen führen würden, die eine erst recht umbringen könnten, wenn sie nicht mit allem Ernst dagegen arbeitet.
Und Gewalt mit Gegengewalt beantworten? Selbstermächtigung schön und gut, aber es ist so himmelschreiend unrealistisch. Gut, dass die Tochter Lola wieder zu essen beginnt, gut, dass sie sich körperlich betätigt, aber das daraus eine Rache-Mädchengang wird, wer bitte soll das ernstnehmen? Je weiter die Schwesternschaft fortschreitet, desto kitschiger und abwegiger werden auch die entsprechenden Passagen. Lola ist überhaupt der am wenigsten realistische Charakter, changierend zwischen 15jähriger Expertin in allen theoretischen Fragen der Geschlechtergerechtigkeit und hilflosem Teeniespatz. Und im weiteren Verlauf, man geht nicht her und verprügelt mehrere Männer, ohne dass irgendwann Konsequenzen (irgendwas zwischen Selbstzweifel, Pannen und polizeilichen Ermittlungen) auftreten.
Sarah ist besser gezeichnet, aber sie bleibt auch ein Scherenschnitt, die Tussi, die sich immer noch um die Sichtbarkeit ihrer Speckröllchen in der Sportswear oder den Furz neben dem Lover im Bett sorgt, die lange, viel zu lange irgendwelche Spielchen mitspielt mit den diversen Männern, einmal wird ihr was bewusst, einmal wieder nicht, es ist nicht konsistent. Und von den beiden männlichen Nebenfiguren und einer möglichen Entwicklung bekommen wir fast nichts mit, auch sie sind Scherenschnitte, ihr Freund Leon der bindungsunwillige jüngere Schönling ohne jegliche emotionale Zugänglichkeit und der Witwer Johannes, der vom Suizid seiner Lebenspartnerin weitgehend unbeeindruckt scheint. Ich zähle im gesamten Verlauf des Romans zwei wesentliche Gespräche mit diesem Mann, sonst ist er „arbeiten“. Ja, ich weiß, dass es solche Männer gibt, aber warum steht nicht im Zentrum des Romans, wie seine Stieftochter und die beste Freundin seiner toten Frau darum kämpfen, ihn zu erreichen, weil er derjenige ist, der verdammt nochmal in charge wäre? Das wäre so viel realistischer als Attacken auf andere Männer oder die Auseinandersetzung mit einem völlig uninteressanten Charakter wie Leon.
Ich dachte, ich könnte dieses Buch mögen, aber es ist nicht so. Ich glaube, dass das Buch dem Feminismus keinen guten Dienst erweist. Die Antwort auf Gewalt, die von Männern ausgeübt wird, ist nicht Gegengewalt, die von Frauen ausgeübt wird. Selbstvertrauen ja, physische Stärke von mir aus, sich selbst erforschen und herausfinden, was eine will und dafür einstehen. Wenn man das tut, folgen Konfrontationen mit Männern, die sich entziehen, diese sind meistens nicht gewalttätig und erfordern mitunter auch Kompromisse und gegenseitiges Verständnis. Das ist ohnehin schwer genug und darüber hätte ich gerne was Hilfreiches gelesen.