Watching: Modern Times (Charlie Chaplin, 1936)
Natürlich kennt man Charlie Chaplin, aber heutzutage hauptsächlich als Ikone. Habe ich Filme von ihm gesehen, ich kann es nicht einmal wirklich sagen, es werden wohl ein paar der Slapstick-Stummfilme gewesen sein, die mir in den Jahren untergekommen sind, und vielleicht ausschnittsweise „The Great Dictator“.
Gestern lief auf Arte „Modern Times“ und ich sah es an, weil Klassiker, muss man ja eigentlich gesehen haben. Habe alleine im Wohnzimmer am Bildschirm hängend lauthals gelacht, z.B. bei der Szene mit der Lunch-Maschine, unfassbar, mit welcher Präzision das technische und schauspielerische Timing gelungen ist, mit den damaligen Mitteln. Im ganzen Film immer wieder Stills, die ich kenne, weil sie ins kollektive Bildgedächtnis eingegangen sind (z.B. Chaplin über dem Zahnrad hängend). Gleichzeitig ist der Tramp ein so poetischer Kommunist, mit der verlorenen roten Fahne irrtümlich eine Streikkundgebung anführend. Und wie er zufrieden mit Häkeldeckchen in seiner Gefängniszelle sitzt und mit dem Wärter parliert, und als er entlassen wird, bittet, doch noch ein wenig bleiben zu dürfen. Was für ein Meisterwerk, manchmal die klassischen Stummfilm-Suspense-Szenen, der empathische Nervenkitzel, dass er wo runterfällt (Rollschuhfahren im Einkaufszentrum!), manchmal die Sozialkritik (die Fließbandszene, auch wieder so exakt gefilmt und so lustig, die Überwachungstechniken des Fabrikbesitzers, wie brandaktuell ist das immer noch, 90 Jahre nach Entstehung!). Restlose Begeisterung hier, kein Wunder, dass er so viele Menschen künstlerisch inspiriert hat, ein echter Visionär.
Ich finde es auch wirklich übermäßig sympathisch, dass er mit 54 Jahren eine sehr junge Frau heiratet und mit ihr noch 8 (acht!) Kinder zeugt. Beruflich hatte er alles erreicht, was er wollte und/oder konnte, also verlegte er sich auf die Vaterrolle. Zufällig läuft ihm dafür genau die richtige Frau über den Weg, nämlich Oona O’Neill (Oona, was für ein exotisch klingender hübscher Vorname). Als Tochter von Eugene O’Neill, der sich ihr wohl jahrelang als Elternteil emotional entzogen hat, hat sie offenbar genau den richtigen Vaterkomplex für Chaplin. (Meine Tochter würde jetzt angeekelt die Nase rümpfen wegen des Altersunterschiedes, die heutige Jugend ist da sehr unflexibel geworden und wittert überall Missbrauch, aber ich denke, zwischen Menschen kann es auch mit großem Altersunterschied echte Liebe geben oder zumindest ein ausgeglichenes Geben und Nehmen und hey, sie sind zusammengeblieben und haben acht Kinder gemacht, irgendwas muss gepasst haben!) Und das hübsche Waisenmädchen aus „Modern Times“, Paulette Goddard, mit der Chaplin vor seiner Ehe mit Oona zusammen war, heiratete später im Alter wiederum einen älteren Mann, nämlich Erich Maria Remarque und blieb bis zu seinem Tod bei ihm.
So kann man einen Abend zubringen, begeisternde Filmkunst, dazu noch eine gar nicht so schlecht gemachte Erklärbär-Doku und dann im gemütlichen Kaninchenbau die Biografien und bevorzugt das „Personal Life“ berühmter Menschen nachlesen, dabei bleibe ich häufig hängen, Sie kennen das vielleicht.
(Dazwischen kurz der Gedanke, sie sind alle tot, natürlich, alle sterben irgendwann, auch du, man muss nicht so tun, als sei das etwas Besonderes, kein Lebensabschnitt ist das und zugleich doch für jeden Menschen, am Anfang der Mutterschaft ging es mir genauso, doch niemand schien es wirklich für angebracht zu halten, meine diesbezüglichen Gefühle speziell zu validieren. Ich denke an die greise Dame, die ich diese Woche nach drei Anläufen endlich dazu gebracht habe, eine Unterschrift zu leisten und die psychisch damit kämpft, ihre Besitztümer gedanklich loszulassen, weil es dem Ende zugeht. Und dass sie, wie jeder Mensch, das Recht hat, dass man sie in ihrer Wehmut ernst nimmt.)